Lisa Borg - Autorin


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Lesung Prag

Kurzberichte

Prag, 4. bis 7. Mai 2007

Meine erste Lesung


Eine gewisse Aufregung war natürlich schon vorhanden. Schliesslich sollte dies meine erste Lesung überhaupt sein. Dann war ich noch nie in Prag, schon lange nicht mehr über mehrere Tage von meinem Mann getrennt und ich musste alleine fliegen. Es war so viel neu und ungewohnt, dass ich schon eine gewisse Nervosität an den Tag legte, obwohl ich das eigentlich von mir gar nicht so kannte. Ich gelte oft als kühl und emotionslos. Na ja, ich kann gut damit leben. Nach all dem, was ich bereits erlebt habe, bringt mich scheinbar nichts mehr so leicht aus der Fassung.

Wie es sich für Frauen gehört, packte ich viel zu viele Kleider in den Koffer. Ich wusste nicht, wie warm oder kalt es in Prag sein würde. Also nahm ich einfach mal von jedem ein bisschen mit. Mein Koffer war ja gross und ich hatte eine Menge Platz darin. Um ihn so füllen zu können, damit nichts durcheinander fiel, genehmigte ich mir noch den Morgenmantel und wickelte darin meinen Laptop ein. Vielleicht könnte ich ja meine Eindrücke bereits dort aufschreiben. Der Koffer füllte sich von Stunde zu Stunde immer mehr. Als ich mir dann auch noch wegen eines Musicalbesuchs Fersenblasen einhandelte, musste ich mit meiner Packerei umdenken. Eigentlich, kann das Musical nichts dafür, aber ich dachte, wenn ich schon mal die Gelegenheit bekomme, mich herauszuputzen, dann nütze ich die doch und ziehe meine neuen Lackschuhe an. Ich kalkulierte aber die Hitze an diesem Tag nicht ein und so sprossen dann eben die Blasen zu überdimensionalen Fleischwunden, die ich stundenlang versuchte, zu entwässern. Eine Woche reichte nicht aus und ich musste wohl oder übel mit drei Packungen Wanderpflaster meine Flugreise antreten.
Wieso habe ich immer etwas an den Füssen, wenn ich fliegen muss? Komisch, eigentlich. Entweder waren es Bienenstiche, gebrochene oder verstauchte Zehen, abgefallene Zehennägel oder eben Blasen. So viele andere Verletzungen an den Füssen gibt es ja nicht mehr, daher nehme ich mal an, dass ich in Zukunft auch mal mit gesunden, prächtigen Füssen auf eine Flugreise darf.

Warum war ich denn nur so nervös auf dem Flughafen? Ich hatte doch tatsächlich ein bisschen Flugangst, obwohl ich schon so viel geflogen bin und dies eigentlich auch gerne tue. Aber diesmal war ich alleine, ohne meine Familie und fühlte mich für sie verantwortlich. Trotzdem freute ich mich auf den Flug, nicht zuletzt, da es ein Swiss Flug war. Also keine Billigfluggesellschaft oder sonst etwas Unbekanntes. Ja, so dachte ich. Als der Bus dann vor einem schönen, neuen Airbus der Swiss anhielt, war ich sehr beeindruckt. Leider führte uns der nette Buschauffeur zu der gegenüberliegenden Maschine, einer nicht mehr ganz so jungen Boeing 737-500 einer mir unbekannten, anscheinend deutschen, Fluggesellschaft. Genau dieser Typ Maschine, den sie gerade in den Nachrichten brachten. Abgestürzt in einen Sumpf. Wir Passagiere dachten wohl alle dasselbe. Keiner brach in Freudenjubel aus. Widerwillig schritten wir brav die teppichbezogene Treppe hoch und setzten uns auf unsere reservierten Plätze. Ich bekam einen Fensterplatz, direkt über dem Flügel. Zuerst zählte ich alle Nieten, dann musterte ich die Düse genauestens. Dies alles sah sehr gut aus. Nur die Innenausstattung lies etwas zu wünschen übrig. Sie war eindeutig älteren Datums und stellenweise ziemlich lädiert. Das herausgeputze und überschminkte Flugpersonal war dagegen ein harter Kontrast. Der Service und der Flug waren dennoch optimal, nur das trockene Käsesandwich ordnete ich eher auf der Seite der Innenausstattung ein. Glücklicherweise kam dann endlich der Getränkewagen und ich konnte noch knapp einen Erstickungsanfall verhindern. Da wir uns aber bereits kurz vor Prag befanden, musste ich den Becher noch halb gefüllt zurückgeben. Ich war zum Ersticken verdammt!
Meine Beschwerden vergass ich aber schnell, als sich die Wolkendecke lichtete und den Blick auf die Prager Vororte und die Gegend freigab. Viele kleinere Dörfe,r, umringt von Feldern, vorwiegend Rapsfeldern, die gerade ihr prächtigstes Gelb zeigten. Wie wunderschön die Welt doch ist, da vergisst man sogar das Ersticken.
Ich war in Prag!
Abgeholt wurde ich durch meinen Verleger und er fuhr mich auch über die endlos verstopften Strassen zum Hotel. Ein bunter, moderner Kasten, inmitten einer einigermassen akzeptablen Plattensiedlung und direkt an einer Schnellstrasse gelegen. Aber das Hotel war sehr gepflegt, verfügte über grosse Zimmer mit allem Komfort, eine gute Küche und nettes Personal, das sogar ein bisschen englisch sprach. Deutsch zu erwarten, wäre wohl etwas frech gewesen. Ich fühlte mich wirklich sehr wohl.

Da meine Lesung erst für den Sonntag vorgesehen war, hatten wir den gesamten Samstag für eine Stadtbesichtigung zur Verfügung. Wir benutzten die öffentlichen Verkehrsmittel bis in die Innenstadt, was sehr angenehm war. Die Schere zwischen arm und reich war dabei kaum zu übersehen. Auch wo die Milliarden von Euro hinflossen, die die Europäische Union den Ostländern zur Verfügung stellte, waren sichtbar. Neue Autobahnen, eine moderne U-Bahn, viele renovierte Altstadthäuser. Ja, es ging was im Osten. Das war gut so. Ich gehörte auch längere Zeit zu den Gegnern der Ostblockhilfe. Aber jetzt, als Tourist, kam mir die neue Infrastruktur wieder zu gute. So änderte sich meine Meinung von einem Tag zum anderen.
Die Stadtbesichtigung vollführten wir zu Fuss. Wanderpflaster sei dank! Und so konnte sogar ich die alten Gemäuer, Brücken, Kirchen, Museen und Klöster einigermassen schmerzlos bewundern. Ja, Prag ist eine prächtige und schöne Stadt. Da gab ich allen Recht, die dies bis jetzt behaupteten. Aber... Prag ist halt nicht Vancouver. Sie wird immer mein Favorit unter den Weltstädten sein. Zu viel verbindet mich mit dieser fernen Pazifikperle.

Nach langen Fussmärschen und tausenden von Fotoaufnahmen, die mein Verleger von mir machte, krochen wir in einen rustikalen Keller in der Prager Innenstadt, um etwas Währschaftes zu essen. Ein Spanferkel drehte sich mit Hjlfe eines Uhrmechanismus am Spiess über glühenden Kohlen. Armes Schwein, dachte ich. Doch verbreitete es einen wohlriechenden Duft, den mein Magen daran erinnerte, dass er eigentlich schon lange keine Arbeit mehr hatte. Also liessen wir es uns gut gehen und genossen ein wirklich delikates Essen im Urgewölbe Prags.
Abends, zurück im Hotel, war ich dann so geschafft, dass ich mich in mein Zimmer zurückzog und erst mal meine demolierten Fersen versorgte. Ich war so hundemüde, dass ich mich kurze Zeit später ins Bett legte und endlich einmal in Ruhe schlafen wollte. Denn das wurde mir in der ersten Nacht bereits verwehrt.
Ich hatte das Pech, ein Pärchen neben mir wohnen zu haben, welches sich anscheinend um nichts anderes scherte, als um sich selbst. Sie luden wohl sämtliche Gleichgesinnten in ihr Zimmer ein und vollführten eine Party, schöner und lauter könnte es gar nicht sein. Nach gut drei Stunden Dauerwälzen im Bett war ich so wütend, dass ich erbarmungslos an die Wand hämmerte. Dann wurde es erschreckend still! Doch kurze Zeit später hörte ich wieder Stimmen und das Fest ging weiter, allerdings etwas ruhiger. Doch schienen sie immer noch keine Ahnung davon zu haben, dass man eine Tür, egal welche, auch leise schliessen kann, nicht so, dass jedes Mal gleich das gesamte Stockwerk erzittert.
Da ich jetzt einen ziemlich erhöhten Puls hatte und mich meine sonst so vertraute, wärmende Bettfflasche nicht in den Schlaf streicheln konnte, war ich hellwach. Und das nachts um 3 Uhr. Um sieben musste ich wieder aufstehen. Also noch vier Stunden. Die schaffte ich auch nicht, denn als endlich die Gäste das Nachbarzimmer verliessen, hörte man sie noch etwa eine halbe Stunde in den Gängen mit den hochhackigen Schuhen umherstolzieren. Oder war es schon torkeln? Und natürlich knallten die Türen wie Sektkorken. Jedenfalls wurde es ruhiger und ich kuschelte mich in mein viel zu kleines Kissen. Rhythmische Geräusche rissen mich wieder aus dem Dämmerschlaf. Es hörte sich sehr nach einem quietschenden Bett an. Zuerst musste ich doch etwas schmunzeln, als dann aber noch lautstarkes Gestöhne und sogar Schreie und Anfeuerungsrufe dazukamen, war an Schlaf nicht mehr zu denken. Das junge Paar genoss die Zweisamkeit in vollen Zügen und auch in voller Länge. Nach einem unendlich langen Gequietsche hörte ich die Dusche angehen. Ich wünschte mir dann nur noch, die Frau hätte keine langen Haare, damit sie sie nicht auch noch föhnen musste. Sie hatte bodenlange Haare!

Und auch die zweite Nacht verlief nicht viel anders. Ich fand wenigstens ein paar Stunden Schlaf. Frisch geduscht und herausgeputzt für meine Lesung machten wir uns nach dem Frühstück auf den Weg zum Messegelände. Dieses war sehr imposant, ein schmucker Bau, der zum UNESCO Kulturerbe zählt. Ich fühlte mich sofort wohl in den Hallen dieses Kunstwerkes und freute mich erstaunlicherweise auf die Lesung. Eigentlich hätte ich doch nervös sein sollen oder zumindest etwas aufgeregter. Aber mein weniger Schlaf konnte wohl mein Adrenalin auf einem niedrigen Stand halten, was eigentlich ganz gut war. Als die Lesung beginnen sollte, waren kaum Leute anwesend, sodass wir beschlossen noch etwas zuzuwarten. Dann kamen endlich ein paar Interessierte, vor allem junge Frauen und betrachteten mich wie eine Sehenswürdigkeit. An dieses Anstarren werde ich mich wohl nie so richtig gewöhnen können. Aber mit den bewundernden und freudigen Blicken der Zuhörer fand ich mich gut zurecht. Zudem war es sehr interessant, den Leuten zuzuschauen, wie sie auf den Lesestoff reagierten. So machte es auch richtig Spass. Und wenn sie noch vorbeischauten und respektvoll ein Autogramm oder eine Signierung wünschten, war das schon sehr zufriedenstellend. Ein kleiner Lohn für eine anstrengende Arbeit.

Trotzdem war ich erleichtert, als die Stunde dann zu Ende war, weil mir mein Mund doch langsam etwas ausgetrocknet vorkam. Wir setzten uns zu einem Kaffee an einen Tisch und besprachen die Lesung. Meine erste Lesung! Wir fanden alle, dass sie nicht schlecht war und ich darauf aufbauen konnte. Dies erfüllte mich schon etwas mit Stolz, weil ich ja den Vorlesetext selbst aussuchen musste. Ich entschloss mich für mehrere Teile in den ersten Kapiteln meines Buches. Solche Stellen, die nicht so emotional waren. Ich wusste ja nicht, wie ich auf das, was ich vorlas, reagieren würde und so wägte ich mich mal eher auf der sicheren Seite. Mich erwartete im schlimmsten Fall eine Schmerzattacke oder einfach ein Nervenflattern oder so ähnlich. Dies geschah aber nicht und so war ich mit mir zufrieden. Das nächste Mal sollte der Text dann etwas gewagter sein. Das würde ich aushalten können. Da war ich mir nun sicher und das war ein sehr beruhigendes Gefühl. Dennoch erschlich mich am Abend im Hotelzimmer eine eigenartige Stimmung, die ich als Müdigkeit deutete. Doch war ich viel zu nervös und zittrig, um richtig müde und erschöpft sein zu können. Also doch eine Folge des Lesens? Nein, ich glaubte das nicht und führte dies auch darauf zurück, dass ich meine Familie, vor allem natürlich meinen Mann, langsam anfing zu vermissen. Und nochmals eine Nacht, umgeben von Sado-Maso-Rhythmen, würde auch nicht wirklich zu einer Besserung meines Befindens beitragen. Ich packte zuversichtlich und tief durchatmend meine Sachen, bereitete mich auf meine Abreise vor und ging früh zu Bett. Doch auch diese Nacht war wieder einiges los nebenan, und ich kann sogar sagen, dass ich mich langsam daran gewöhnt hatte. Die Abfolge war immer dieselbe und ich rechnete schon aus, wann ich endlich in Ruhe schlafen könnte. Immerhin waren es diese Nacht schon drei Stunden.

Wir mussten ohne Frühstück das Hotel verlassen, da uns der Prager Verkehrsfluss zu einer frühzeitigen Abfahrt zum Flughafen aufforderte. Dies holten wir aber gemütlich nach. Auf dem Weg von der Passkontrolle zum Gate schlief ich schon das erstemal beinahe ein und den Start der Maschine konnte ich nur schläfrig mitverfolgen. Dann döste ich vor mich hin und verpasste, auch ein bisschen absichtlich, die kleine Verpflegung an Bord. Als dann die Getränke serviert wurden, langte ich kräftig und schnell zu, da wir uns bereits wieder im Landeanflug auf Zürich befanden.
Dort traf ich endlich meinen Mann wieder und schon war ich nicht mehr ganz so müde. Wir hatten uns zum Mittagessen verabredet, weil er sowieso am Flughafen arbeitete, und wir nicht bis am Abend aufeinander warten wollten. Ich erzählte ihm von meinen Eindrücken, vom Erlebten und von den Nächten, für die er nur ein geheimnisvolles Schmunzeln übrig hatte.

Fazit dieses Aufenthaltes:
Manchmal erlebt man als Passiver mehr...
... und es gibt mir wieder mal Gewissheit, dass man viel mehr aushält, als man sich zutraut.


Lisa Borg

Mai 2007 (c) copyright by Lisa Borg


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